Hiv: Freispruch im Grazer Erpresserfall

Hiv: Freispruch im Grazer Erpresserfall
Rechtskomitee LAMBDA (RKL) ruft die Justizministerin zum Handeln auf
Wieder wollte ein Staatsanwalt die staatlichen Safer Sex Regeln kriminalisieren. Diesmal in Graz. Auch in diesem Fall hat das Gericht den Angeklagten freigesprochen. Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL), Österreichs Bürgerrechtsorganisation für homo- und bisexuelle sowie transidente Frauen und Männer, ruft die Justizministerin auf, gerade im Interesse der Volksgesundheit dem Treiben mancher Staatsanwälte ein Ende zu setzen.
Der unbescholtene Freigesprochene ist Hiv-positiv. Die Staatsanwaltschaft (StA) Graz hatte gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil ihn ein anderer Hiv-positiver Mann beschuldigte, ihn mit Hiv angesteckt zu haben. Tatsächlich hatte der Mann mit diesem anderen Mann vor Jahren einvernehmlichen sexuellen Kontakt, jedoch entsprechend den vom Gesundheitsministerium und den Aids-Hilfen propagierten Safer Sex Regeln, also mit Sexualpraktiken, bei denen eine Ansteckung so gut wie ausgeschlossen ist (Oralverkehr ohne Ejakulation in den Mund).
Erpresser verschont, Opfer angeklagt
Der mehrfach wegen Gewalt-, Suchtgift- und Vermögensdelikten vorbestrafte Anschuldiger hat die Anzeige, in der er kondomlosen passiven Analverkehr (und Oralverkehr ohne Ejakulation in seinen Mund) behauptete, erst Jahre nach dem sexuellen Kontakt erstattet und erst nachdem der Angeklagte nicht bereit war, seine unter Drohungen vorgebrachten erheblichen finanziellen Forderungen (EUR 50.000-100.000,--) zu erfüllen. Zudem hat er selbst in seiner Einvernahme angegeben, anderweitig sexuelle Kontakte (zB in Sexkinos) gehabt zu haben und hatte er im Internet flüchtige sexuelle Kontakte („Sexdates“) gesucht mit einem Profil, auf dem angegeben war: „Safer Sex: Niemals“. Darüber hinaus ist dieser Mann nach seinen eigenen Angaben heroinsüchtig, und war daher, außer dem sexuellen noch anderen Übertragungswegen für eine Hiv-Infektion ausgesetzt.
Das gegen den Anschuldiger (wegen des Verdachts der schweren Erpressung) eingeleitete Strafverfahren wurde „wegen der widerstreitenden Aussagen“ sogleich nach Einvernahme der beiden Männer eingestellt. Nicht jedoch das Verfahren gegen den unbescholtenen der beiden Männer. Diesen klagte die Staatsanwaltschaft Graz an: wegen des Verdachts der Gefährdung durch übertragbare Krankheiten (§ 178 Strafgesetzbuch). Auch zwischen Hiv-positiven seien ungeschützte Sexualkontakte strafbar und Oralverkehr sei auch ohne Ejakulation in den Mund strafbar, so die Staatsanwaltschaft, entgegen den staatlich propagierten Safer Sex Regeln www.aids.at/alles-uber-hivaids/wie-kann-ich-mich-schutzen/; www.aidshilfen.at/sie-haben-fragen-wir-haben-antworten; www.gesundheit.gv.at/Portal.Node/ghp/public/content/Safer_Sex.html).
Staatsanwalt klagte Safer Sex an
Das Landesgericht für Strafsachen Graz hat die Anberaumung einer Hauptverhandlung verweigert und die absurde Anklage zurückgewiesen, weil eine Verurteilung des Mannes nicht nahe liege. Sex zwischen Hiv-Positiven sei nicht strafbar und die Staatsanwaltschaft habe nicht einmal versucht zu klären, ob der Anschuldiger zum Zeitpunkt des Sexualkontakts bereits Hiv-positiv gewesen sein könnte. Zudem seien sehr wohl die unterschiedlichen Ansteckungswahrscheinlichkeiten bei Anal- und Oralverkehr zu berücksichtigen. Der Staatsanwalt erhob Beschwerde. Das Oberlandesgericht Graz bestätigte jedoch die Zurückweisung der Anklage (OLG Graz 16.02.2012, 8 Bs 40/12m).
Erst jetzt holte der Staatsanwalt den letzten hiv-negativen Test des Anschuldigers ein. Und obwohl dieser zum Zeitpunkt des sexuellen Kontakts zwischen den beiden Männern bereits zwei Monate alt war, brachte er die Anklage hartnäckig unverändert wieder ein; einschließlich Oralverkehr ohne Ejakulation in den Mund, was den staatlich propagierten Safer Sex Regeln entspricht.
Nach zwei Hauptverhandlungsterminen hat das Landesgericht für Strafsachen Graz den Angeklagten gestern von den Vorwürfen (Gefährdung der Volksgesundheit durch Oralverkehr ohne Ejakulation und Analverkehr ohne Kondom) freigesprochen. Zuvor hatte der Anschuldiger selbst eingeräumt, außer mit dem Angeklagten auch mit anderen Männern sexuell verkehrt zu haben, und sein behandelnder Arzt sagte aus, dass seine Hiv-Infektion damals nicht frisch sondern bereits 1-3 Jahre alt war.
Doppeltes Spiel der Justizministerin?
2010 hat die Justizministerin anläßlich des Welt-Aids-Kongresses in Wien versichert, dass das österreichische Strafgesetz sexuelle Handlungen im Einklang mit den Safer Sex Regeln nicht kriminalisiert und erklärte ausdrücklich, dass die Staatsanwaltschaften dementsprechend informiert seien (4941/AB, 2. Juni 2010, www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_04941/).
Dennoch wurde im Frühjahr dieses Jahres am Landesgericht Feldkirch ein 17jähriger Jugendlicher wegen Oralverkehrs (ohne Vorwurf der Ejakulation) verurteilt, wobei sich der Richter zur Behauptung verstieg, dass sogar die Verwendung eines Kondoms beim Oralverkehr nichts an der Strafbarkeit ändern würde vorarlberg.orf.at/news/stories/2523707/). Und erst vergangenen Montag stand in Wien ein Mann vor Gericht, der ausdrücklich und ausschließlich wegen Oralverkehr ohne (!) Ejakulation angeklagt war, eine Praktik die von den Gesundheitsbehörden und den staatlich finanzierten Aids-Hilfen als Safer Sex ausdrücklich propagiert wird. Auch dieser Mann wurde, wie der Angeklagte gestern in Graz, freigesprochen, weil er sich, wie die Richterin festhielt, völlig richtig verhalten hatte kurier.at/chronik/wien/hiv-ambulanz-im-wiener-akh-leidet-unter-personalmangel/1.926.101#section-1926299
derstandard.at/1355459879510/Safer-Sex-Regeln-eingehalten-Freispruch-fuer-HIV-Positiven-in-Wien). Nicht immer finden sich freilich so grundvernünftige RichterInnen und trotz des Freispruchs bleiben die Angeklagten durch das Trauma einer kriminalstrafgerichtlichen Anklage und Verhandlung sowie durch die Prozesskosten geschädigt.
Österreich Top Ten bei Kriminalisierung Hiv-Positiver
Österreich rangiert weltweit unter den „Top Ten“ bezüglich Verurteilungsraten hiv-positiver Menschen www.gnpplus.net/criminalisation/node/1262). Deutschland kennt keinen entsprechenden Tatbestand und die Schweiz hat jüngst ihren (ohnehin nie so weitgehend gewesenen) Tatbestand auf Ansteckung in böser Absicht eingeschränkt (BBI 2012 8157), und zwar auf Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (heute: Eidgenössische Kommission für sexuelle Gesundheit) www.bag.admin.ch/hiv_aids/05464/12494/12821/, Download in der Leiste rechts). UNAIDS und die EU-Grundrechteagentur verlangen, nicht zuletzt im Interesse einer wirksamen Hiv-Prävention, seit Jahren die Beendigung derartiger Kriminalisierung von Menschen mit Hiv und die Beschränkung und Konzentration des Strafrechts auf absichtliche Ansteckung www.unaids.org.fj/index.php?option=com_content&view=article&id=162:unaidsundp-policy-brief-criminalization-of-hiv-transmission-&catid=25:technical-documents&Itemid=74; fra.europa.eu/en/publication/2010/rights-based-approach-hiv-european-union, www.hivjustice.net/oslo/oslo-declaration/).
„Wir rufen die Justizministerin auf, dringend die Zusicherungen aus 2010 wahr zu machen und dem Treiben mancher Staatsanwälte ein Ende zu setzen“, sagt der Präsident des RKL und Verteidiger des Freigesprochenen Dr. Helmut Graupner, „UNAIDS warnt seit Jahren, dass derartige Kriminalisierung Hiv-positiver Menschen eine effektive Hiv-Prävention und damit die Volksgesundheit gefährdet“.
www.RKL ambda.at