Unfassbar: Staatsanwalt klagt Hiv-Positiven wegen Safer Sex an

In Wien steht heute ein Hiv-positiver Mann vor dem Strafrichter, weil er die von der Republik und den staatlich finanzierten Aids-Hilfen propagierten Safer Sex Regeln eingehalten hat. Die Anklage lautet auf „Oralverkehr ohne Ejakulation“ (!), exakt das, was seit Jahrzehnten als Safer Sex propagiert wird.
Die Anklage gründet auf § 178 Strafgesetzbuch („Vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten“), nach dem durch zwei Jahrzehnte hindurch sogar Personen (zumeist Frauen) verurteilt worden sind, die Geschlechtsverkehr mit Kondom hatten.
1997 hat der Oberste Gerichtshof dann endlich klargestellt, dass Geschlechtsverkehr mit Kondom den Safer Sex Regeln entspricht und nicht strafbar ist (OGH 25.11.1997, 11 Os 171/97). Und 2003 bedurfte es eines mehrjährigen Wiederaufnahmeverfahrens bis das Oberlandesgericht Graz die Verurteilung eines Mannes für Oralsex ohne Ejakulation aufgehoben hat (Kärntner Oralsexfall: http://www.RKL ambda.at/news_safersex.htm). Bereits damals hatte Gesundheitsminister Herbert Haupt festgehalten, „dass die strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung HIV-positiver Menschen für sexuelle Kontakte mit HIV-negativen Menschen trotz Befolgung der Verhaltensempfehlungen der Gesundheitsbehörden und der Aids-Hilfen dem Anliegen einer effektiven HIV- und Aids-Prävention zuwiderlaufen“ (2313/AB XXI.GP, www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXI/AB/AB_02313/).
Gefährdung wirksamer Hiv-Prävention
Österreich rangiert weltweit unter den „Top Ten“ bezüglich Verurteilungsraten hiv-positiver Menschen www.gnpplus.net/criminalisation/node/1262). Deutschland kennt keinen entsprechenden Tatbestand und die Schweiz hat jüngst ihren (ohnehin nie so weitgehend gewesenen) Tatbestand auf Ansteckung in böser Absicht eingeschränkt (BBI 2012 8157), und zwar auf Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (heute: Eidgenössische Kommission für sexuelle Gesundheit) www.bag.admin.ch/hiv_aids/05464/12494/12821/, Download in der Leiste rechts). UNAIDS und die EU-Grundrechteagentur verlangen, nicht zuletzt im Interesse einer wirksamen Hiv-Prävention, seit Jahren die Beendigung derartiger Kriminalisierung von Menschen mit Hiv und die Beschränkung und Konzentration des Strafrechts auf absichtliche Ansteckung www.unaids.org.fj/index.php?option=com_content&view=article&id=162:unaidsundp-policy-brief-criminalization-of-hiv-transmission-&catid=25:technical-documents&Itemid=74; fra.europa.eu/en/publication/2010/rights-based-approach-hiv-european-union, www.hivjustice.net/oslo/oslo-declaration/).
Dementsprechend hat die Justizministerin 2010 anläßlich des Welt-Aids-Kongresses in Wien versichert, dass das österreichische Strafgesetz sexuelle Handlungen im Einklang mit den Safer Sex Regeln nicht kriminalisiert und erklärte ausdrücklich, dass die Staatsanwaltschaften dementsprechend informiert seien (4941/AB, 2. Juni 2010, www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_04941/).
Doppeltes Spiel der Justiz(ministerin)?
Dennoch wurde im Frühjahr dieses Jahres am Landesgericht Feldkirch ein 17jähriger Jugendlicher wegen Oralverkehrs (ohne Vorwurf der Ejakulation) verurteilt, wobei sich der Richter sogar zur Behauptung verstieg, das sogar die Verwendung eines Kondoms beim Oralverkehr nichts an der Strafbarkeit ändern würde vorarlberg.orf.at/news/stories/2523707/). Und nun wird in Wien ein Mann ausdrücklich wegen Oralverkehr ohne (!) Ejakulation angeklagt, eine Praktik die von den Gesundheitsbehörden und den staatlich finanzierten Aids-Hilfen als Safer Sex ausdrücklich propagiert wird www.aids.at/alles-uber-hivaids/wie-kann-ich-mich-schutzen/; www.aidshilfen.at/sie-haben-fragen-wir-haben-antworten; www.gesundheit.gv.at/Portal.Node/ghp/public/content/Safer_Sex.html).
Die Verhandlung findet am Montag, 17. Dezember 2012 (11.00) in Saal 307 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, Wickenburggasse 22, 1080 Wien, statt. Die Verhandlung ist öffentlich. Die Identifizierung des Angeklagten in Medienberichten ist streng verboten (§§ 7 & 7a Mediengesetz).
Die unfassbare Anklage ist auch bereits Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage (13275/J, 06. Dezember 2012, www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_13275/).
„Es darf nicht sein, dass Hiv-Positive vom Staat dafür kriminalisiert werden, dass sie sich an eben die Verhaltensregeln desselben Staates halten“, sagt der Präsident des RKL und Verteidiger des Angeklagten Dr. Helmut Graupner, „Das stellt nicht nur eine schwere Menschenrechtsverletzung dar sondern vor allem auch eine eklatante Gefährdung der Volksgesundheit“.
www.RKL ambda.at
Das 1991 gegründete Rechtskomitee LAMBDA (RKL) arbeitet überparteilich und überkonfessionell für die umfassende Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte gleichgeschlechtlich l(i)ebender Frauen und Männer. In seinem Kuratorium vereinigt es so prominente Mitglieder wie Altbundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer, Nationalratspräsidentin Mag. Barbara Prammer, die vormalige Justizministerin Mag. Karin Gastinger, den Ehrenpräsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates NRAbg.a.D. Dr. Peter Schieder, Volksanwältin NRAbg.a.D. Mag. Terezija Stoisits, den Bundesratsabgeordneten Marco Schreuder, den vorm. Generaldirektor für öffentliche Sicherheit Dr. Erik Buxbaum, die vormalige Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung Dr. Barbara Helige sowie die Vorsitzende der FG Grundrechte der Richtervereinigung Dr. Mia Wittmann-Tiwald, die Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien Dr. Elisabeth Rech, den vorm. Vorstandsvorsitzenden der D.A.S.-Rechtsschutzversicherung Dr. Franz Kronsteiner, den Präsidenten des Weissen Rings Dr. Udo Jesionek, den Generalsekretär von Amnesty International Österreich Mag. Heinz Patzelt, den vorm. Vizepräsidenten des Verwaltungsrats der EU-Grundrechteagentur Univ.-Prof. Dr. Hannes Tretter und die bekannten Menschenrechtsexperten Dr. Lilian Hofmeister und Univ.-Prof. Dr. Manfred Nowak, die Verfassungsexperten Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner, Univ-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Univ.-Prof. Dr. Heinz Mayer und Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin, den renommierten Kinder- und Jugendpsychiater Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich und die Kinder- und JugendanwältInnen von Wien DSA Monika Pinterits und Dr. Anton Schmid, die Sexualwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Josef Christian Aigner, Univ.-Prof. Dr. Rotraud Perner und Univ.-Lekt. Mag. Johannes Wahala, Life-Ball-Organisator Gery Keszler u.v.a.m. Das 15jährige Bestehen des Rechtskomitees LAMBDA (RKL) wurde über Einladung von NRPräs. Mag. Barbara Prammer am 2. Oktober 2006 mit einem historischen Festakt im Nationalratssitzungssaal des Parlaments in Wien gefeiert. Dieser weltweit ersten Ehrung einer homosexuellen Bürgerrechtsorganisation in einem nationalen Parlament wohnten unter den über 500 TeilnehmerInnen auch höchste RepräsentantInnen aus Justiz, Verwaltung und Politik bei (http://www.RKL ambda.at/festakt/index.htm). Seit 2010 ist das RKL Mitglied der Grundrechteplattform der EU-Grundrechteagentur www.fra.europa.eu).