Polizei darf IP-Adressen ohne Gerichtsbeschluss ermitteln
Der Verfassungsgerichtshof hat in einer richtungweisenden Entscheidung das Fernmeldegeheimnis sehr eng ausgelegt. Es schütze nur Inhaltsdaten, nicht aber Verkehrsdaten (Verbindungsdaten). Einen Gerichtsbeschluss zur Ermittlung von IP-Adressen und anderen Verkehrsdaten benötige die Polizei daher nicht.
Der Beschwerdeführer hatte in einem (geschlossenen) Chat mit einem anderen Internetuser die Begehung eines schweren Verbrechens vorgetäuscht. Der Chatpartner nahm seine Angaben ernst und informierte die Kriminalpolizei. Die Anzeige erfolgte an einem Mittwoch um 19.50. 16 Stunden danach, am nächsten Tag um 11.50 Mittag, begannen die Kriminalbeamten mit den Ermittlungen und verlangten vom Chatbetreiber die Herausgabe der IP-Adresse, mit der der Beschwerdeführer (unter einem Nicknamen) gechattet hatte. Einen (zumindest mündlichen) richterlichen Beschluss holten sie nicht ein und mussten das seit einer 2009 erlassenen Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz (SPG) auch nicht mehr.
Der Beschwerdeführer wurde ausgeforscht und wandte sich an die Datenschutzkommission. Er beschwerte sich dabei nicht über seine Ausforschung, die angesichts seiner Vortäuschung eines schweren Verbrechens unbestritten notwendig, ja sogar geboten war. Worüber er sich beschwert hatte, war, dass seine IP-Adresse ohne Gerichtsbeschluss ausgeforscht worden war. Er machte die Verfassungswidrigkeit des neuen § 53 Absatz 3a SPG geltend, der die Polizei zur Ausforschung ohne Gerichtsbeschluss ermächtigt hat, weil Art. 10a des Staatsgrundgesetzes bestimmt, dass das Fernmeldegeheimnis unverletzlich ist und Ausnahmen "nur auf Grund eines richterlichen Befehls in Gemäßheit bestehender Gesetze zulässig" sind.
Fernmeldegeheimnis extrem eng ausgelegt
Die Datenschutzkommission hatte die Beschwerde abgewiesen, und der Verfassungsgerichtshof hat diese Abweisung nun bestätigt (VfGH 29.06.2012, B 1031/11). Das verfassungsgesetzliche Fernmeldegeheimnis schütze nur den Inhalt von Kommunikation (Inhaltsdaten), also was kommuniziert wird, nicht aber die Verkehrsdaten (Verbindungsdaten), also wer mit wem wann wie lange und über welche technischen Wege kommuniziert (hat) (Rz 21, 31). Der Gesetzgeber durfte daher die Betreiber zur Auskunft gegenüber der Polizei (ohne Gerichtsbeschluß) verpflichten.
In der Auskunftsverpflichtung liege zwar ein Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Datenschutz (§ 1 Datenschutzgesetz, Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention), beide Bestimmungen verlangen aber, anders als Art. 10a Staatsgrundgesetz (Fernmeldegeheimnis), keinen richterlichen Beschluß. Und die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Ausforschung an sich standen ausser Diskussion.
In dieser Entscheidung sprach der Verfassungsgerichtshof auch aus, dass selbst Inhalte von Kommunikation in Chaträumen dann nicht dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, wenn diese Chaträume (grundsätzlich) für jeden User (ohne Zugangskontrolle) zugänglich sind (offene Chaträume) oder wenn einer der Chatpartner Nachrichten aus einem vertraulichen (geschlossenen) Privat-Chat der Polizei zugänglich macht (Rz 7, 20, 27).
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Dr. Helmut Graupner ist Rechtsanwalt in Wien, Präsident des Rechtskomitees LAMBDA (RKL), Co-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung (ÖGS) sowie Vice-President for Europe der International Lesbian and Gay Law Association (ILGLaw) und Co-Coordinator der European Commission on Sexual Orientation Law (ECSOL).